Ende 26. Woche: Bitte noch nicht jetzt!

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Der Koffer steht offen vor dem Bett und ich überlege, was ich noch mitnehmen will. Es ist Sonntag und wir fliegen heute für eine Woche nach Kreta. Yeah! Urlaub! Und ein echtes Schnäppchen. Für 333 Euro haben wir Vollpension und die Flüge mit drin. Es wird unser letzter Urlaub zu zweit sein. Allerdings habe ich dieses Mal ein mulmiges Gefühl. Ich finde es schon ein bisschen spät für mich zu fliegen. In allen Ratgebern steht immer, dass man zwischen dem vierten und sechsten Monat am besten verreisen kann. Jetzt habe ich schon den siebenten Monat angekratzt. Das an sich würde mich noch nicht abschrecken, aber in Kombination mit den Schmerzen im Becken - naja. Wird schon werden, oder!?

Unser Flieger geht um 16 Uhr vom Münchner Flughafen - um 14 Uhr wollen wir da sein. Also noch jede Menge Zeit zum Koffer packen. Das mulmige Gefühl lässt sich allerdings nicht abschütteln. Zu den Gelenkschmerzen im Becken kommt jetzt ein fieses Ziehen im Unterleib. Beim Gang auf die Toilette werde ich dann wirklich unruhig. Ich möchte nicht genau ins Detail gehen (weil es ein bisschen eklig ist) aber ich meine, Anzeichen einer Frühgeburt zu haben. Es ist Sonntag - 11 Uhr am Vormittag - als ich zum ersten Mal meine Hebamme anrufe. Sie hat ausdrücklich gesagt, dass sie immer erreichbar ist und sie geht tatsächlich sofort ans Handy! Sie begrüßt mich mit Namen. Also hat sie sich meine Nummer eingespeichert. Das finde ich schon mal gut. Ich schildere ihr meine Beobachtungen und Symptome. Sie wird beim Zuhören immer ruhiger am Telefon. Das deute ich als schlechtes Zeichen und tatsächlich: Sie rät mir, bitte in die Klinik zu gehen. Sofort.

Scheiße! Jetzt habe ich wirklich Angst! Ich rufe in der Klinik an, in der ich eh zur Geburt angemeldet bin. Am Telefon sagt mir die Ärztin allerdings, dass ich erst ab der 37. Schwangerschaftswoche kommen kann. Falls das Baby nämlich wirklich jetzt auf die Welt kommt, hätten sie keinen Platz um meine Kleine zu versorgen und müssten mich weiter überweisen. Das stört mich allerdings erst mal wenig. Ich will einfach nur wissen, was los ist! Wenn der schlimmste Fall eintreten sollte, dann gehe ich halt in ein anderes Krankenhaus! Die Ärztin willigt ein, dass sie mich zumindest kurz untersuchen kann. Also mache ich mich sofort auf den Weg. Mit meinem Freund habe ich ausgemacht, dass er meinen Koffer weiter packt und dass wir uns auf dem Weg zum Flughafen treffen. Vorausgesetzt, dass mit dem Baby alles okay ist! Im Notfall blasen wir die Reise ab!

In der Klinik angekommen und nachdem ich das Labyrinth aus Abteilungen erfolgreich durchquert habe, stehe ich vor dem Kreißsaal. Den wollte ich nach dem Infoabend in der Klinik eigentlich nicht so schnell wieder sehen. In meiner Vorstellung rolle ich hier pünktlich zum Geburtstermin hechelnd rein und bekomme eine Stunde später mein Baby. Tja… Die Schwestern (oder Hebammen - keine Ahnung) hinter der Trennwand gucken skeptisch. “Was wollen Sie denn hier?”, fragen sie wenig charmant. Ich darauf: “Äh… Mein Name ist Katja Rietdorf. Ich habe gerade hier angerufen, mit der Ärztin gesprochen und die hat gesagt dass ich vorbeikommen soll.” Ich bin echt verunsichert ob dieser doofen Begrüßung. Und dann sagt die eine Schwester auch noch: “Die Ärztin hat es sich aber anders überlegt. Sie sollen doch nicht kommen. Hat sie Sie denn nicht erreicht?” Nein. Hat sie nicht. Ich habe keinen Anruf in Abwesenheit. Wenn ich wüsste, dass ich hier nicht erwünscht bin, wäre ich auch nicht gekommen. Aber jetzt bin ich da und verdammt nochmal verzweifelt!!! Das alles DENKE ich, bleibe aber super höflich. Schließlich will ich wirklich wissen, was los ist. Die Mädels hinter der Anmeldung scheinen zu merken, dass ich nicht gekommen bin um jemanden zu ärgern. Ich werde zähneknirschend reingelassen und man hängt mich an den Wehenschreiber. Eben um festzustellen, ob ich vielleicht Wehen habe.

Da liege ich dann über eine halbe Stunde und lausche dem eiligen Herzschlag meiner Tochter. Schnell und gleichmäßig. Das sieht gut aus und hört sich auch gut an. Neben mir liegt eine hochschwangere Patientin, die über dem Termin ist. Da ihr Bett und mein Bett nur durch ein Stück Stoff getrennt sind, höre ich jedes Wort mit. Eine sehr nette Schwester / Hebamme (ich muss echt rausfinden, was korrekt ist!) fragt sehr lieb nach, ob die Patientin immer noch raucht (Tut sie!!) und bittet höflich darum, dass sie das zumindest in den nächsten 48 Stunden bleiben lässt, da die Geburt jetzt künstlich eingeleitet wird und sie das bisschen Zeit bestimmt auch ohne Kippe schafft. Als die Schwester weg ist, beschwert sich die Minderjährige bei ihrer Mutter. 48 Stunden nicht rauchen? Das schafft sie nie. Die Mutter ermuntert sie daraufhin, dass sie ihren Konsum ja zumindest kurzfristig reduzieren könnte und lobt sie dafür heute erst fünf Zigaretten geraucht zu haben. Ich denke an das Baby des Mädchens und habe aufrichtig Mitleid mit dem armen Wurm. Das wird auch nicht besser, wenn ich länger zuhöre. Das nächste Thema zwischen Mutter und Tochter ist das Stillen. Beide sind der Meinung, dass man vom Stillen hässliche Brüste bekommt und das Babynahrung aus der Flasche eh viel gesünder ist… Ehrlich. Jede werdende Mutter ist anders und ich habe Verständnis für die vielen verschiedenen Einstellungen zum Kinderkriegen. Aber das, was die beiden hier von sich geben, macht mich wütend. Und zu ihr ist das Klinikpersonal saunett, während ich behandelt werde wie ein Störfaktor. Das ist doch nicht fair!

Nachdem der Wehenschreiber nichts Auffälliges diagnostiziert hat, werde ich zurück ins Wartezimmer gebeten. Ich bin die Einzige hier. Kahle Wände, ein Wasserspender und Infobroschüren mit glücklich lächelnden Muttis drauf. Sonst nix. Es ist mittlerweile nach 12 und ich warte. Und warte. Und warte. Der Minutenzeiger der Krankenhausuhr rückt immer mit einem extra lauten “Klack” weiter und macht mich wahnsinnig. Ich schreibe mit meinem Freund und jede weitere vergangene Viertelstunde ändern wir unsere Pläne. Nachdem 15 Minuten vor zwei Uhr klar ist, dass ich unmöglich rechtzeitig mit den Öffentlichen am Flughafen sein kann, einigen wir uns darauf, dass er am Schalter auf mich wartet und ich mit dem Taxi komme. Wenn die Ärztin ihr Okay gibt!

Fünf vor zwei werde ich endlich in einen Behandlungsraum gerufen. Die Ärztin, die nicht viel älter sein kann als ich selbst, erklärt mir nochmal, warum ich hier eigentlich nicht sein dürfte. Vielen Dank. Das weiß ich mittlerweile!!! Es folgt die lang ersehnte Untersuchung. Ich will einfach nur wissen, ob mit meinem Baby alles in Ordnung ist. Zur Untersuchung an sich muss man sagen, dass dieser Stuhl generell nicht zu meinen Lieblingsplätzen gehört, aber die Ärztin ist wirklich grob! Sie tastet ab, macht einen Ultraschall von innen und das alles in einem Tempo und mit einem Gesicht, das ich beängstigend finde. Zum Abschluss fährt sie den Stuhl so schnell runter, dass ich froh bin, funktionierende Bauchmuskeln zu haben. Anderenfalls wäre ich mit dem Gesicht und dem Bauch voran, unten ohne, auf den Boden geklatscht. Es war erniedrigend! Doch feststellen konnte sie nichts. Es sieht alles aus, wie es sein soll. Trotzdem rät sie mir von der Reise ab, weil sie nicht garantieren kann, dass in zwei Tagen auch noch alles in Ordnung ist. Obwohl sie nicht glaubt, dass irgendwas passiert. Jede Auffälligkeit, vor allem im letzten Trimester, gibt Grund zur Sorge. Und da sollte man kein Risiko eingehen.

Okay. Was also tun? Ich entscheide mich für die Reise. Wenn die Ärztin IRGENDETWAS gefunden hätte, das Anlass zur Sorge gibt, hätte ich mich anders entschieden, aber so… Ich springe ins nächstbeste Taxi, lasse mich für satte 65 Euro zum Flughafen bringen und treffe vor dem Schalter für unseren Kreta-Urlaub meinen Liebsten. Mutterseelenallein mit zwei großen Koffern und bleichem Gesicht steht er da. Allein der Anblick zerreißt mir das Herz. Der Arme! Wir sind die Letzten, die ihre Koffer einchecken. Der Mensch am Schalter hat extra auf mich gewartet. In zehn Minuten ist schon Boarding. Wir steigen wenig später in den Flieger. Wir heben ab in Richtung Griechenland und zusammen mit mir fliegt das schlechte Gewissen nach Kreta. Ich fühle mich wie die mieseste Rabenmutter der Welt!

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