Kita-Streik

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„Bitte holen Sie Pauline ab. Sie brüllt und lässt sich durch nichts und niemanden beruhigen.“ Da geht die Woche direkt gut los, wenn dich der Anruf aus der Kita kalt im Digitalmeeting erwischt…

Meine Große ist so eine fantastische Maus, so eine tolle große Schwester. Ich habe ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie soll bei all der Sorge um ihre kleine Schwester auf keinen Fall zu kurz kommen.

Gott sei Dank sind wir diese Woche gut besetzt gewesen. So dass ich direkt los eilen konnte, um das brüllende Elend aus der Einrichtung zu holen. Ich hasse es, wenn der gefürchtete Anruf kommt. Vor allem, weil ich nicht mehr damit gerechnet habe. Die letzten Wochen waren prima. Keine Beschwerden, glückliches Kind. Immer wenn ich Pauline abgeholt habe, hat sie friedlich gespielt, gegessen oder Quatsch mit den Erzieherinnen gemacht. Sie eilt mir zwar immer strahlend entgegen aber das halte ich für normal. Macht sie zu Hause ja auch. Jedenfalls hat mich der Anruf unerwartet getroffen. Als ich Pauline abholte, kam sie mir ebenfalls wieder lachend entgegen. Kein rotes Gesicht, keine Träne – nix. Nur glücklich, mich zu sehen. Sie hat mich dann auch direkt bei der Hand genommen und meinte „Komm Mama, hause gehen!“ Joar… Schwierig. Denn Mama muss auch arbeiten.

Den Dienstag hat sie dann mit Ach und Krach irgendwie über die Bühne gebracht. Am Mittwoch kam der Anruf dafür umso früher. Nämlich um zehn. Da war sie gerade mal eine Stunde in der Kita. Und hat dort alles zusammen gebrüllt. Weil ich nicht ständig früher aus der Arbeit abhauen kann und damit Mausi nicht lernt, dass die Mama sofort auf der Matte steht, wenn sie ruft, haben wir alle zusammen einen Schlachtplan ausgearbeitet. Einer, der nur Dank meiner Freunde funktionieren kann. Eine kann immer montags und donnerstags, eine weitere ist in Mutterschutz und hat sich bereit erklärt, Paulinchen abzuholen, so lange ihr Baby noch nicht da ist. Und dann habe ich noch eine weitere befreundete Mama, die ebenfalls einspringen würde. Alle würden Paulinchen abholen und dann eben so lange betreuen, bis ich sie abholen komme. Dann ist sie gut versorgt, bekommt 1 zu 1 Betreuung und ich kann in Ruhe zu Ende arbeiten.

Jedenfalls theoretisch. Denn in Ruhe mach ich grad gar nix mehr. Die ganze Zeit lebe ich in Angst. Angst vorm Telefon. Ich habe es die ganze Zeit bei mir. Schließlich könnte es jederzeit klingeln. Am Mittwoch hat meine Mutterschutz-Freundin also die Püppi abgeholt. Die war erst gar nicht begeistert. Kita und Freundin sagen beide, dass Pauline sich schwer verarscht gefühlt hat. Sie hat eben fest damit gerechnet, dass die Mama kommt. Die beiden Tage darauf kam kein Anruf. Sollte unser Plan also tatsächlich aufgehen? Und selbst wenn: Wie soll es mir damit gehen?

Ich bin im Osten Deutschlands aufgewachsen. Für mich war es nie eine Frage, die Kinder früh fremd betreuen zu lassen. Ich bin so groß geworden und habe das Konzept nie in Frage gestellt. Ich selbst bin mit sechs Wochen in die Schicht-Kita gekommen. Okay. Das hätte ich nicht übers Herz gebracht. Ich war ziemlich froh über den Luxus, das erste Jahr bei meinen Babys bleiben zu können. Bei Pauline war ich ja sogar anderthalb Jahre daheim. Und ich finde es toll, soviel Zeit mit den Kindern zu verbringen aber ich arbeite auch ganz gern. Abgesehen davon ist es zur Zeit ziemlich wichtig, dass ich arbeite weil wir sonst die nächsten Hundert Jahre das Haus abbezahlen müssen, in dem wir nicht leben werden. Aber ich bin mir mittlerweile auch sicher, dass beide Kinder sehr gut ohne U3-Fremdbetreuung hätten leben können. In anderen Worten: Es hätte meinen Mäusen mehr Wohlbefinden gebracht, hätten sie noch länger bei der Mama daheim bleiben können. Und obwohl ich das weiß, gehe ich arbeiten. Das ist doch Scheiße! Ich will kein schlechtes Gewissen haben. Niemandem gegenüber. Heute kam es dann noch dicker für uns. Paulinchens Erzieherin bat darum, sie zumindest diese Woche nach dem Mittagessen abzuholen. Also gegenhalb, dreiviertel zwölf. Da heißt es gleich wieder Freundeskreis aktivieren. Und nächste Woche eilt meine Mutter die 600 Kilometer zu Hilfe. Ich habe ihr die 200 Euro teure Zugfahrt spendiert. Und ich bin mittlerweile wirklich durch. Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

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